Ein Haus ohne Heizung, in dem es immer warm ist - Squirrel News

Ein Haus ohne Heizung, in dem es immer warm ist

Visualisierung Cornelius Forum, Berlin Wedding

Im Berliner Stadtteil Wedding entsteht mit dem Kornelius Forum das erste Gebäude in Deutschland, das ganzjährig Raumtemperaturen zwischen 22 und 26 Grad Celsius bietet – ohne klassische Heizung, Lüftung oder Klimaanlage.

Der Neubau entsteht auf dem Gelände der Evangelischen Kornelius-Kirchengemeinde an der Dubliner Straße. Er ersetzt das bisherige Gemeindehaus und vereint künftig Verwaltungsbüros, Wohnungen und ein Café unter einem Dach. Das Besondere an diesem Bauprojekt: Es wird nach dem innovativen 22–26-Prinzip errichtet.

Das 22–26-Prinzip: Ein Plädoyer für technische Einfachheit

Das Konzept betrachtet das Gebäude als lebendigen Organismus, der sich die natürlich vorhandene Energie aus der Umgebung zunutze macht. Mithilfe intelligenter Software und spezifischer architektonischer Strukturen wird diese Energie effizient verwertet. Das Gebäude verzichtet vollständig auf traditionelle Heizungs-, Lüftungs- oder Kühlsysteme. Stattdessen nutzt es die Abwärme von Menschen, technischen Geräten und der Beleuchtung als natürliche Wärmequelle.

Die massiven Außenwände aus Mauerwerk mit rot eingefärbtem Kratzputz wirken als Dämm- und Speichermasse. Sie sorgen dafür, dass Wärme im Winter gespeichert und kühle Luft im Sommer erhalten bleibt – ganz ohne aktiven Energieeinsatz. Durch ein ausgewogenes Verhältnis von Fassade, Fensterflächen, Proportionen und Geometrie wird das Tageslicht optimal genutzt und das Raumklima zusätzlich stabilisiert.

Ein zentrales Element ist das intelligente Steuerungssystem: Es regelt die vorhandenen Energieströme automatisch und effizient, angepasst an Nutzung, Wetterlage und Tagesverlauf. Die sensorgesteuerten Lüftungsflügel der Fenster öffnen und schließen sich automatisch, sobald Innenraum und Außenbereich bestimmte Grenzwerte gemessen haben. Die sich selbst optimierende Software wertet die Daten in Echtzeit aus und kontrolliert so konstant die Raumbedingungen.

Der Prototyp steht in Österreich

Entwickelt wurde das 22-26-Prinzip von dem österreichischen Architekten und Architekturprofessor Dietmar Eberle. Von 2010 bis 2013 entstand im österreichischen Lustenau/Vorarlberg der erste Prototyp: ein Bürobau in Form eines Würfels mit 24 Meter Seitenlänge, der ohne Heizung, ohne Lüftung und ohne Klimaanlage auskommt. 

Auch dieses Gebäude regelt seine Innentemperatur ausschließlich über architektonische Mittel, wie massive Wände, natürliche Lüftung und ein intelligentes Sensoriksystem. Für die notwendige Temperaturstabilität des Gebäudes sorgt die thermische Masse: Die Außenwände bestehen aus 75 Zentimeter dickem Mauerwerk mit einer statischen und einer dämmenden Schicht.

Zehn Jahre nach der Fertigstellung des Gebäudes lieferte Lustenau mit einer überwiegend positiven Bilanz den Beweis für die Funktionstüchtigkeit des Konzepts – allerdings mit kleinen Einschränkungen. So stieg die Raumtemperatur an extrem heißen Tagen mehrfach auf 28 Grad und verließ damit den 22-26-Grad-Korridor. Das lag offenbar jedoch in erster Linie an den Bewohnern, die “Temperatur, Feuchtigkeit, Geräte (mit Abwärme), eigene Gewohnheiten ins Haus” tragen. Erfinder Dietmar Eberle erklärt das so: „Sie müssen sich das Haus wie einen Baum vorstellen, es atmet selbst und reagiert auf das, was drinnen und draußen passiert.“

Bauen mit möglichst wenig Ressourcen

Mit dem Kornelius Forum wird das 22–26-Prinzip erstmals in Deutschland realisiert – und setzt damit ein Zeichen für nachhaltiges Bauen in der Stadt. In Zeiten von Energiekrisen, Klimawandel und Ressourcenknappheit zeigt das Projekt, dass architektonische Intelligenz und technische Reduktion keine Gegensätze sind. Im Gegenteil: Der Verzicht auf aufwendige Gebäudetechnik eröffnet neue Wege zu mehr Klimaschutz, Langlebigkeit und Unabhängigkeit im Bauwesen.

Das Außengelände soll ebenfalls klimabewusst gestaltet werden. Geplant sind heimische Pflanzen, durchlässige Beläge und ein Regenwassermanagement mit Mulden und Rigolen. Zudem wird ein spezielles Beleuchtungskonzept entwickelt, um Lichtverschmutzung zu reduzieren.

Mit dem erfolgreichen Richtfest im Mai 2025 nimmt das Projekt nun konkrete Formen an. Bis Ende 2025 soll das Gebäude fertiggestellt werden: als neuer Ort der Begegnung und der baulichen Innovation in Berlin.

Quellen: Baumschlager Eberle 1, 2, Kornelius Forum, 2226.eu, Wienerberger, Bauwelt, DBZ, Entwicklungsstadt, Kirchenkreis Reinickendorf

Grafik: Baumschlager Eberle Architekten

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